Transformativer Wandel für Biodiversität – was die Forschung verändern muss

Transformativer Wandel für Biodiversität – was die Forschung verändern muss
© Marco Finsterwald / SNSF

Am Kick-off des NFP 82 präsentierte Julia Leventon die Erkenntnisse des IPBES-Reports: Bisherige Massnahmen bekämpfen Symptome, nicht Ursachen. Für echten Wandel braucht es einen fundamentalen Kurswechsel.

Julia Leventon reiste aus Prag an, wo sie am Czech Globe, einem Institut der Tschechischen Akademie der Wissenschaften, zu nachhaltigen Gesellschaften forscht. Als Leitautorin des IPBES (Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services)Transformative Change Assessment brachte sie die Essenz einer dreijährigen, globalen Forschungsarbeit mit: Über 100 Expertinnen und Experten aus 42 Ländern hatten mehr als 7000 Referenzen ausgewertet und über 10'000 Kommentare verarbeitet.

Mehr vom Gleichen reicht nicht

Die zentrale Erkenntnis ist ernüchternd: Trotz wachsender Schutzgebiete, zunehmender multilateraler Umweltabkommen und exponentiell steigendem Wissen über Biodiversität – der Artenverlust schreitet ungebremst voran. «Wir können nicht einfach mehr vom Gleichen tun», betonte Leventon. «Wir müssen den Kurs ändern.»

Der Grund: Bisherige Massnahmen bekämpfen Symptome, nicht Ursachen. Das Assessment identifiziert drei tiefgreifende Muster in dominanten Gesellschaften, die den Biodiversitätsverlust antreiben: die Entfremdung von und Herrschaft über Natur und Menschen, die Konzentration von Macht und Reichtum sowie die Priorisierung kurzfristiger, materieller Gewinne Einzelner.

Vier Prinzipien für echten Wandel

Wie kann transformativer Wandel gelingen? Das Assessment nennt vier Prinzipien: Gerechtigkeit und Fairness, Pluralismus und Inklusion, adaptives Lernen und Handeln sowie respektvolle, reziproke Mensch-Natur-Beziehungen. Besonders das adaptive Lernen hob Leventon hervor: «Transformativer Wandel ist kein Zustand, den man erreicht. Es ist ein fortlaufender Prozess, der Anpassung und Reflexion erfordert.»

Diese Prinzipien müssen in Sichtweisen, Strukturen und Praktiken verankert werden – also in der Art, wie wir die Welt verstehen, wie wir uns organisieren und wie wir handeln. Das erfordert Veränderungen auf allen Ebenen: von individuellen Verhaltensänderungen bis zu internationalen Governance-Strukturen.

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© Marco Finsterwald / SNSF

Fünf Strategien – alle notwendig

Das Assessment definiert fünf Strategien, die zusammenwirken müssen: die Erhaltung und Regeneration wertvoller Orte; die Transformation von Governance-Systemen; der Umbau wirtschaftlicher Strukturen, besonders in Sektoren wie Landwirtschaft und Bergbau; die Änderung gesellschaftlicher Narrative über Natur; und die Stärkung der Verbindung zwischen Mensch und Natur.

Konkrete Beispiele machen Hoffnung

Leventon präsentierte auch ermutigende Fallstudien. Die Agrarökologie etwa erfordert Veränderungen in Praktiken, Strukturen und Werten gleichzeitig – von innovativen Bauern über unterstützende Politikmassnahmen bis hin zu sozialen Bewegungen. Die Gamuza Academy in Brasilien wiederum bringt Schulkindern bei, woher Nahrung kommt, und schafft so Bewusstsein, das in Familien und Gemeinschaften ausstrahlt.

Forschung als Katalysator

Für die Forschungsprojekte des NFP 82 formulierte Leventon drei konkrete Erwartungen:

Erstens braucht es mehr Fallstudien zu kontextspezifischen Ansätzen. Transformativer Wandel sieht nicht überall gleich aus. Was in der Schweiz funktioniert, passt nicht unbedingt für Brasilien. Die Forschung braucht deshalb dokumentierte Beispiele aus verschiedenen Kontexten, Massstäben und Gesellschaften – um zu verstehen, wie die abstrakten Prinzipien konkret vor Ort umgesetzt werden können.

Zweitens fordert sie kulturelle Einsichten: Wie durchlaufen Menschen in Transformationsprozessen «innere Wandlungen»? Wie werden sie ermächtigt, und wie strahlen diese persönlichen Veränderungen in Gemeinschaften aus? Das Beispiel der Gamuza Academy zeigt das: Kinder lernen über Nahrung, sprechen zuhause darüber, und langsam verändert sich das Bewusstsein in der Familie.

Drittens ist transdisziplinäre Zusammenarbeit unerlässlich. Wissenschaft allein reicht nicht. Forschende müssen von Anfang an mit Stakeholdern zusammenarbeiten – mit Bauern, Politikern, NGOs, Gemeinschaften. Nicht Wissen produzieren und dann übergeben, sondern gemeinsam lernen und handeln.

«Es gibt Wert in Wissen», sagte Leventon, «aber nicht, wenn es dort endet. Es muss Sprungbrett für schwierige Gespräche sein.»

Auf die Frage nach dem aktuellen Populismus und Klimaskeptizismus reagierte Leventon mit vorsichtigem Optimismus: «Systeme können sich schnell ändern, wie der Fall des Kommunismus in Osteuropa zeigt. Wir müssen vorbereitet sein – mit Wissen, Fähigkeiten und demokratisch ausgehandelten Visionen.»

Ihre Schlussfolgerung: «Transformativer Wandel für eine gerechte und nachhaltige Welt ist möglich. Schwierig, aber möglich.»